Usbekistan: Eine Kirche voller Leben

Wie Christen in Usbekistan leben und was wir daraus in Europa lernen können. Ein Reisebericht.

Gottesdienstgemeinde in Samarkand in Usbekistan

Im Oktober 2019 besuchte Silke Gabrisch von der Deutschen Bibelgesellschaft die Bibelgesellschaft in Usbekistan. Wie sie die Begegnungen mit den Christen vor Ort erlebt und warum sie manches neu schätzen gelernt hat, erzählt sie in ihrem Reisebericht.

  

Es ist meine erste Reise nach Zentralasien. Drei volle Tage sind wir, Kollegen von den Bibelgesellschaften in Deutschland, Norwegen und der Ukraine, in Usbekistan unterwegs, bevor wir nach Tadschikistan weiterreisen. Wir wollen die Arbeit der Usbekischen Bibelgesellschaft vor Ort, aber vor allem auch Christinnen und Christen kennenlernen. Wie leben sie ihren Glauben? Und was bedeutet ihnen das Wort Gottes? Im Vorhinein fällt es mir schwer, mir vorzustellen, was mich erwartet, aber ich bin sehr gespannt und voller Neugier und Offenheit.

  

Lager voller Kartons mit Bibeln

Obwohl wir erst gegen zwei Uhr nachts unser Hotel in der Hauptstadt Taschkent erreichen, geht es am ersten Tag gleich voll los. Der Vormittag ist für Zeit mit Mitarbeitern und Vorstandsmitgliedern der Bibelgesellschaft in Usbekistan reserviert – wir hören vom aktuellen Fortgang der Projekte, von Herausforderungen, aber auch positiven Entwicklungen. Im Lager sehen wir Kartons mit der Bibel auf Usbekisch. Gerade sind genug Exemplare vorrätig, aber das war in der Vergangenheit deutlich anders.

Nach einem köstlichen Mittagessen – das Nationalgericht Plov werden wir nicht zum letzten Mal serviert bekommen – geht es weiter mit dem straffen Programm: Am Nachmittag sind Besuche bei drei verschiedenen Gemeinden in Taschkent vorgesehen.

  

Unterwegs mit Gottes Wort

Die Begegnungen mit den Christinnen und Christen sind sehr eindrücklich und bewegend für mich. Wir erleben dynamische Gemeinden, die sich trotz vieler staatlicher Auflagen und Einschränkungen die Leidenschaft für den Glauben nicht nehmen lassen. Es ist einiges los, ein reges Kommen und Gehen. Überall finden Veranstaltungen statt, einmal eine Konferenz für Pastorenfrauen, ein anderes Mal ein Lobpreis- und Gebetsabend.

Ich lerne inspirierende Menschen kennen. Sie alle haben Verfolgung oder Ablehnung aufgrund ihres Glaubens erlebt, doch sie haben etwas gefunden, das sie nicht mehr hergeben wollen. Viele berichten davon, wie sehr sie das Wort Gottes prägt und wie es ihnen neue Perspektiven aufgezeigt hat.

  

Kirchen, die an Moscheen erinnern

Einen Tag später befinden wir uns auf der Reise von der Hauptstadt nach Samarkand. Unterwegs wollen wir Gemeinden besuchen. Als Erstes halten wir in einer Kleinstadt. Jakob*, der hier Pastor ist, begrüßt uns herzlich mit seiner Familie. Durch ein großes Tor führt er uns in einen schön gestalteten Innenhof, in dem gerade ein neues Kirchengebäude entsteht, das von der Architektur her stark an eine Moschee erinnert.

Usbeken, die traditionell dem Islam angehören, sollen sich hier willkommen fühlen und vertraute Elemente vorfinden. Es soll ihnen vermittelt werden: Das Christentum hat etwas mit ihnen ganz persönlich zu tun, es ist nicht die fremde Religion aus dem Ausland. Das große Wunder: Der Bürgermeister der Stadt gab die Genehmigung dafür, ohne dass er darum gebeten werden musste. Er hatte die Gemeinde kennengelernt, nachdem die Mitglieder eine Müllhalde aufgeräumt hatten. Es ist das erste Mal, dass so etwas im Land passiert.

Jakob fasziniert mich. Er hat eine unglaublich positive Ausstrahlung und eine große Vision: Im Jahr 2022 sieht er zwei Prozent der Einwohner der Kleinstadt als Christen. Dafür hat er sogar ein Logo entwickelt, das wir nun als Gastgeschenk auf einem T-Shirt aufgedruckt mitbekommen.

  

Lebendige Gemeinden

Ein Tag später in Samarkand. Es ist Sonntag und heute können wir zwei verschiedene Gottesdienste besuchen. Abends sind wir in einer der größten usbekischen Gemeinden zu Gast. Der schlichte Gottesdienstraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt – da sind junge Männer in legerer Kleidung, ältere Frauen mit bunten Kopftüchern, Familien und sogar zwei frisch verheiratete Frauen mit der traditionellen Krone auf dem Kopf.

An einer Seite sitzt eine Frau auf einem Podest und übersetzt die Predigt in Gebärdensprache. Viele Gemeinden in Usbekistan haben solch ein spezielles Angebot für gehörlose Menschen, da es zum einen viele mit dieser Behinderung gibt, sich zum anderen kaum jemand sonst um sie bemüht.

    

Mädchen mit ihrer neuen Kinder-Bibel zum Selbstgestalten

Kirche in Usbekistan ist voller Leben

Auch dieser leider schon letzte ganze Tag in Usbekistan ist intensiv und voller Eindrücke. Irgendwie hatte ich erwartet, angesichts der Umstände mehr sorgenvolle Gesichter und Bedrückung vorzufinden, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Kirche in Usbekistan ist voller Leben.

Ich hatte gehofft, die Christen vor Ort zu ermutigen zu können, aber es war genau anders herum: Ihre Geschichten haben mich inspiriert. Was mir oft allzu selbstverständlich ist – die Bibel ohne Einschränkung lesen zu dürfen, den Glauben frei ausüben zu können –, ist für sie alles andere als normal und deshalb umso kostbarer. Auch ich will das Wort Gottes wieder neu wertschätzen, mich nicht zu sehr daran gewöhnen, sondern das Besondere daran wahrnehmen und mich berühren lassen. Das nehme ich mir neben all den Erfahrungen von dieser Reise ganz persönlich mit.

  

Silke Gabrisch ist Referentin der Weltbibelhilfe bei der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart.